Joe Bonamassa oder doch lieber Blutengel hat sich vielleicht nicht nur ein Besucher aus Amberg im Vorfeld des Konzertes vom Blutengel im Hirsch gefragt, der sich dann nach langer Überlegung für Blutengel und gegen Bonamassa entschieden hat, der zur gleichen Zeit in der Meistersingerhalle aufspielte. Bereut hat er seine Entscheidung sicher nicht, genauso wenig wie all die anderen Besucher im gutgefüllten Hirsch, die auch in diesem Jahr für die gewohnte Blutengel-Saunatemperatur sorgten. Trotzdem wollte sich Chris trotz lautstarken Ausziehen-Rufen von weiblichen Besucherinnen wieder einmal nicht ausziehen. „The same procedure as every year“ könnte man meinen. Und doch war an diesem Abend vieles anders, ganz anders als man es von Blutengel bisher gewohnt war.
15 Jahre gibt es das Bandprojekt Blutengel nun schon, 15 Jahre waren die Liveauftritte immer großes Kino mit Live-Gesang, die Musik dazu kam jedoch vom Band was beim einen oder anderen Konzertbesucher doch leise Kritik hervorrief.
So schauten die Blutengel Fans diesmal etwas verwundert, als nach dem gelungenen Auftritt der Vorband Melotron, dazu später noch mehr, Schlagzeuger Michael hinter dem Schlagzeugaufbau Platz nahm, Carolines Violine und Katharinas Cello verkabelt wurden und sich hinter dem Piano Konrad einfand. Und spätestens als Chris Pohl, Sänger, kreativer Kopf und Bandchef zusammen mit Ulrike Goldmann die Bühne betrat und die Band die ersten Klänge des Intros Legend erklingen liesen, war auch dem Letzten im Saal klar, heute gilt es Blutengel mit Live-Band ganz neu zu entdecken.
Spätestens seit dem grandiosen Gothic meets Classic Auftritt im letzten Jahr, für das die Band mit Lob geradezu überschüttet wurde, ist bei Chris Pohl der Plan gereift, all den vielen Blutengel-Fans im Lande wenigstens in kleiner Besetzung vorzuführen, welche Pracht die Songs mit Streicherbegleitung live entfalten können. ein mutiger Schritt, der die Faszination Blutengel live erleben noch viel reizvoller macht. Gerade auch, weil es gelungen ist, Musiker zu finden die den Blutengel-Sound von CD perfekt live auf der Bühne umzusetzen verstehen, allen voran Drummer Michael, der sich mit seinen beleuchteten Drumsticks und seiner ungewöhnlichen Drumstickhaltung als echter Glücksgriff erwies.
Einen Ersatz für die Ende 2012 augestiegene Sängerin Anja Milow gibt es nicht, wieso auch, wenn man mit Uli Goldmann eh schon eine großartige Sängerin in der Band hat, deren Stimme nun schon 8 Jahre einfach perfekt zu der von Chris Pohl passt. Und neben den vielen gemeinsam gesungen Songs bleibt auch ihr starker Soloauftritt beim Konzert unterstützt von 2 Tänzerinnen extrem im Gedächtnis haften.
Apropos Tänzerinnen, ein unverzichtbarer Bestandteil einer Blutengel Show, egal ob als Vampire, als Göttin Athena oder als Nonne verkleidet, die Damen sind immer einen oder ganz viele Hingucker wert und setzten die Songs visuell perfekt in Szene und der Live Show die Krone auf. Auch wenn wegen den beengten Bühnenverhältnissen im Hirsch nicht alles, was man gerne hätte zeigen wollen, möglich gewesen war. So musste man leider ohne Feuershow auskommen, doch auch ohne Feuer war es immer noch ein sehenswertes Spektakel was die Blutengel-Crew an diesem Abend ablieferte. Tour auf Tour lässt man sich immer wieder eine komplett neue Show mit neuen Tanzschritten, Choreographien und Outfits einfallen und bis auf das Kunstblut, dass diesmal nicht ganz so reichlich wie im letzten Jahr floss, war auch 2013 vieles eben nicht „The same procedure as every year“. Auch weil man eine neue Tänzerin dabei hatte, für meinen Geschmack sind Nicky, Vicky und Nadine die stärkste Tanzbesetzung der 15 Jährigen Blutengel-Bandhistorie.
Von Null auf Platz 4 der Charts schoss das zur Tour gehörige Album The Monument in der ersten Woche des Erscheinens. Nicht nur die beste Chartsplazierung aller Zeiten für Blutengel, sondern ein eindrucksvoller Beweis, dass man auch ohne großen Major im Rücken, ohne gewaltigen Werbeaufwand, ohne sich kommerziell zu verbiegen und ohne Heavy Rotation im Radio extrem erfolgreich sein kann. Und so besteht die Show natürlich aus vielen Songs des neuen Doppel-Albums wie Willst Du, Save our Souls, You walk away und natürlich Monument als letzten Song des Abends. Selbstverständlich gibt es aber auch genug Platz für ältere Songs, auch wenn die Songauswahl bei einem solch großen Songkatalog der in den 15 Jahren inzwischen entstanden ist, von Jahr zu Jahr immer schwieriger wird. Probleme scheint Chris Pohl damit aber keine zu haben, schafft er doch jedesmal ein homogenes Set aus alt und neu, aus tanzbaren schnellen Nummern und ans Herz gehenden Balladen zusammen zu stellen die wie aus einen Guß wirken, so dass die kapp 2 Std auch nach 3 Zugaben gefühlten 60 Minuten entsprachen und man einfach noch gerne viel mehr gehört hätte.
Blutengel sind ja eigentlich eine Elektroband, trotzdem kommt man inzwischen auch bei einem Song einmal völlig ohne Elektro aus, ungewohnt vielleicht, jedoch musikalisch noch einmal ein riesiger Schritt nach vorne. Chapeu Chris Pohl.
Nürnberg hat sich übrigens einmal mehr als dankbares Blutengel Publikum erwiesen und Chris Pohl weiß auch, was er an seinen „Nürnbergern“ hat. Nicht umsonst hat man beim Tränenherz-Konzertfilm zur letzten Tour den es auf der Nachtbringer CD als Bonus dazu gibt, viele Songs vom Auftritt in Nürnberg ausgewählt und Nürnberg ist für Chris Pohl immer ein Highlight, wie uns ein tiefenentspannter Chris Pohl vor dem Konzert erzählte.
Und so sollte einem baldigen Wiedersehen in Nürnberg nichts im Wege stehen, auch wenn sich der größte Wunsch von Chris Pohl , dass der ganze Saal den Song Monument lautstark mitsingt leider noch nicht erfüllte. Aber vielleicht heißt es im nächsten Jahr dann auch was das Mitsingen anbelangt, eben nicht „The same procedure as every year, Chris“.
Nun noch einige Sätze zum Auftritt von Melotron. Die im Jahr 1995 gegründete Band aus Neubrandenburg ist mit ihrem Synthiepop ein idealer Einheizer an diesem Abend. Und diese Rolle macht den 3 Jungs von Melotron um Snger Andy Krüger sichtbar Spaß. Trotz einem Auftritt beim Bundesvision Song Contest im Jahr 2007 für Meck-Pomm und immerhin bereits 6 regulären Alben ist der Bekanntheitsgrad der „Jungs“ in Deutschland noch ausbaufähig. Und pünktlich zum Tourstart hat man mit „Stuck in the Mirror“ auch einen neuen Song herausgebracht, ein Vorgeschmack auf die kommende CD Werkschau. Wird auch Zeit Vorgänger Propaganda ist bereits im Jahr 2007, also vor 6 Jahren erschienen.
Und dass die Jungs Selbstvertrauen haben sieht man daran, dass man sich doch tatsächlich getraut hat einen Rio Reiser Song zu covern. Menschenfresser klingt zwar nicht mehr wirklich nach Rio Reiser und weit mehr nach Melotron, aber das ist auch gut so. Denn eins braucht sicher niemand, eine Synthiepop-Band die nach Rio Reiser klingt. So macht der Song, genauso wie der Auftritt von Melotron aber durchaus Spaß. Und nach dem Konzert nahm man sich übrigens wie auch die 2 von Blutengel viel Zeit um Autogramme zu schreiben oder Fotowünsche zu erfüllen.
Bernd Sonntag